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Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology
Der Video-Kopf-Impuls-Test (vHIT) hat sich in den letzten Jahren als unverzichtbares Werkzeug zur Beurteilung der Funktion der Bogengänge etabliert. Er ermöglicht eine objektive Messung des vestibulookulären Reflexes (VOR) und erlaubt Rückschlüsse auf periphere und zentrale vestibuläre Störungen.
Physiologischer Hintergrund
Der vestibulookuläre Reflex (VOR) stabilisiert den Blick bei schnellen Kopfbewegungen. Er sorgt dafür, dass die Augen eine gleich schnelle, aber entgegengesetzt gerichtete Bewegung ausführen, um das Sehen trotz Bewegung klar zu halten. Bei einer Funktionsstörung kommt es zu einer Verzögerung oder Fehlanpassung der Augenbewegung, was als Schwindel oder Unsicherheit wahrgenommen werden kann.
Testprinzip und Durchführung

Beim vHIT trägt der Patient eine leichte Kamera-Brille, die sowohl die Kopfbewegung als auch die Augenbewegung hochauflösend erfasst. Der Untersucher führt kleine, abrupte und unvorhersehbare Kopfbewegungen aus, die sogenannten Impulsbewegungen. Diese erfolgen in der Ebene der horizontalen oder vertikalen Bogengänge. Währenddessen wird gemessen, ob die Augenbewegung die Kopfbewegung präzise kompensiert.
VOR-Gain: die zentrale Messgröße
Die wichtigste Kennzahl des Tests ist der VOR-Gain – das Verhältnis zwischen Augen- und Kopfgeschwindigkeit. Ein Gain-Wert von etwa 1 zeigt eine normale Funktion, da die Augenbewegung die Kopfbewegung exakt kompensiert. Werte unter 0,8 deuten auf eine vestibuläre Hypofunktion hin.
Horizontaler Kanal: Gain 0,8–1,0
Vertikale Kanäle: Gain 0,7–0,95
Beidseitig erniedrigte Werte < 0,6 → Verdacht auf bilaterale vestibuläre Hypofunktion.
Korrigierende Sakkaden
Wenn der VOR-Gain reduziert ist, verliert das Auge während der Kopfbewegung kurzzeitig das Ziel. Das Gehirn kompensiert diesen Fehler durch schnelle Blicksprünge – sogenannte Sakkaden:
- Offene Sakkaden (Overt Saccades): Nach der Kopfbewegung sichtbar; klinisch oft erkennbar.
- Verdeckte Sakkaden (Covert Saccades): Während der Kopfbewegung; nur instrumentell erfassbar.
Das Vorhandensein verdeckter Sakkaden trotz nur leicht erniedrigtem Gain kann ein Zeichen zentraler Kompensation sein.
Klinische Interpretation
Die Kombination aus VOR-Gain und Sakkadenmuster erlaubt eine klare Differenzierung vestibulärer Störungen:
- Einseitige Hypofunktion: Erniedrigter Gain auf einer Seite; häufig bei Vestibularisneuritis.
- Beidseitige Hypofunktion: Niedrige Werte beidseits; typisch bei bilateraler Vestibulopathie.
- Zentrale Ursachen: Normaler Gain, aber abnorme Sakkadenmuster oder Instabilität.
Bedeutung in der Praxis
Der vHIT hat sich als schneller, verlässlicher Test im akuten und chronischen Schwindel bewährt. Im Akutfall erlaubt er die Unterscheidung zwischen peripheren und zentralen Ursachen (z. B. Vestibularisneuritis vs. PICA-Infarkt). In der Verlaufskontrolle zeigt er den Grad der vestibulären Kompensation und unterstützt die Planung vestibulärer Rehabilitationsmaßnahmen.
Fazit
Der Video-Kopf-Impuls-Test ist ein hochpräzises Verfahren zur Analyse der Bogengangsfunktion in Echtzeit. Er verbindet moderne Videomesstechnik mit neurophysiologischer Präzision und liefert ein klares, objektives Bild der vestibulären Leistung – unverzichtbar in der modernen audiologisch-vestibulären Diagnostik.