Vestibuläre Tests

Man zeigt auf Gleichgewichtsorgan

 

 

Aktualisiert am:
Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology

Überblick über die wichtigsten Gleichgewichtsuntersuchungen

Wenn das Gleichgewicht wankt, fragen wir selten als Erstes den Hörakustiker. Und doch sind Haltung, Orientierung und Blickstabilität eng mit dem Innenohr und seinen Verbindungen ins Gehirn gekoppelt. Welche diagnostischen Verfahren stehen zur Verfügung, wenn Schwindel, Gangunsicherheit oder Blickflackern auftreten? Hier folgt ein Überblick über die wichtigsten vestibulären Testverfahren – aus Sicht einer neurokognitiv denkenden Audiologie.

Was wird bei vestibulären Tests untersucht?

Das Gleichgewichtssystem besteht aus den drei Bogengängen, den beiden Otolithenorganen (Sacculus und Utriculus), den Vestibularnerven sowie der zentralen Verarbeitung in Hirnstamm und Kleinhirn. Entsprechend gibt es unterschiedliche Testverfahren, die verschiedene Teilaspekte prüfen.

Hinweis: Kein einzelner Test kann das gesamte Gleichgewichtssystem abbilden. Eine vollständige Diagnostik kombiniert meist mehrere Verfahren, um periphere und zentrale Anteile zu differenzieren.

vHIT – Video-Head-Impulse-Test

Der vHIT prüft den vestibulo-okulären Reflex (VOR) bei schnellen Kopfbewegungen. Eine Kamera-Goggle misst, ob die Augen die Bewegung präzise kompensieren.

Ziel: Hochfrequente Beurteilung der Bogengangsfunktion.
Vorteil: Schnell, alltagsnah, seitengetrennte Analyse.
Limitation: Normaler vHIT schließt tieffrequente Störungen nicht aus.

Kalorischer Test (Kalorik)

Beim Kalorischen Test wird das Innenohr selektiv mit warmem und kaltem Wasser oder Luft stimuliert. Die Temperaturdifferenz setzt die Endolymphe in Bewegung und löst einen messbaren Nystagmus aus.

Ziel: Prüfung der horizontalen Bogengänge bei niedrigen Frequenzen.
Vorteil: Etabliertes Verfahren mit hoher diagnostischer Aussagekraft.
Limitation: Zeitaufwendig, weniger angenehm für Patienten.

VEMP – Vestibulär evozierte myogene Potentiale

Die VEMP-Messung erfasst muskuläre Reaktionen (zervikal oder okulär) auf Schall- oder Vibrationsreize. Sie untersucht die Funktion der Otolithenorgane und ihrer afferenten Bahnen.

Ziel: Funktionsprüfung von Sacculus und Utriculus.
Vorteil: Ergänzt vHIT und Kalorik, erfasst andere Sinneskanäle.
Limitation: Hohe Variabilität und komplexe Auswertung.

Posturographie und statische Haltungstests

Tests wie Romberg, Unterberger oder Computerized Dynamic Posturography untersuchen die Körperstabilität unter veränderten visuellen und propriozeptiven Bedingungen.

Ziel: Erfassung der sensorischen Integration.
Vorteil: Praxisnah, zeigt Auswirkungen auf Alltag und Gangbild.
Limitation: Keine Differenzierung einzelner Vestibularorgane.

Rotationsstuhl-Test

Im Rotationsstuhl wird der Patient mit konstanter Geschwindigkeit gedreht. Die resultierenden Augenbewegungen geben Aufschluss über die Dynamik des VOR über ein breites Frequenzspektrum.

Ziel: Messung des VOR über mittlere Frequenzen.
Vorteil: Besonders hilfreich bei bilateralen Funktionsverlusten.
Limitation: Aufwendig, meist nur in spezialisierten Zentren.

Wie werden die Ergebnisse kombiniert?

Ein typischer diagnostischer Ablauf beginnt mit dem vHIT. Bei auffälligen oder unklaren Ergebnissen folgen Kalorik, VEMP oder Rotationsstuhl, um das Spektrum der Vestibularfunktion abzubilden. Die Kombination liefert das vollständigste Bild – und schützt vor Fehldeutungen wie „alles unauffällig“, obwohl zentrale oder otolithische Störungen bestehen.

Empfehlung: Patienten mit chronischem Schwindel oder Mehrsystembeschwerden sollten interdisziplinär untersucht werden – Audiologie, Neurologie und Physiotherapie ergänzen sich hier ideal.

Fazit

Vestibuläre Tests bilden ein Fenster in die fein abgestimmte Zusammenarbeit von Ohr, Auge und Gehirn. Je differenzierter die Diagnostik, desto besser lässt sich zwischen peripheren, zentralen und psychosomatischen Schwindelformen unterscheiden. Für die moderne Audiologie ist das mehr als Diagnostik – es ist die Grundlage für ganzheitliches Verstehen von Gleichgewicht und Hören.

Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology

Newsletter

Mit einer Anmeldung für unseren kostenfreien Newsletter erhalten Sie regelmäßig aktuelle Informationen rund um unser Unternehmen. Zudem erhalten Sie kostenfrei den Downloadlink zur begehrten Hörakustiker-Checkliste.