Marion Downs – Die Mutter der Pädaudiologie

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Marion Downs: Die Mutter der Pädaudiologie und ihre Revolution für das frühe Hören

 

Ein Baby liegt im Arm seiner Mutter. Sie spricht, doch keine Reaktion – kein Lächeln, kein Blick. In den 1950er-Jahren bedeutete das meist: abwarten. Erst Jahre später, wenn Sprache ausblieb, wurde gehandelt. Eine Frau aus Colorado änderte das für immer: Marion Downs.

Ihr Mut, Hörgeräte bereits Säuglingen anzupassen, widersprach der damaligen Lehrmeinung – und wurde zur Geburtsstunde der modernen Pädaudiologie. Heute profitieren Kinder weltweit von dieser Vision.

Ein ungewöhnlicher Weg in die Wissenschaft

Marion Pfaender Downs wurde 1914 in Minnesota geboren. Sie studierte zunächst Politikwissenschaft und Englisch, zog drei Kinder groß und begann erst mit 37 Jahren ihr Masterstudium in Audiologie an der University of Denver. Diese späte, zweite Karriere wurde zu einer der einflussreichsten in der Geschichte der Audiologie.

1959 wechselte sie an die University of Colorado School of Medicine. Dort begann sie, Säuglinge systematisch auf Hörstörungen zu testen und ihnen – entgegen allen Konventionen – Hörgeräte anzupassen.

Die erste Hörgeräteanpassung bei Säuglingen

In einer Zeit, in der Hörgeräte erst ab zwei Jahren verordnet wurden, passte Marion Downs Geräte bereits bei sechs Monaten an. Sie nutzte zunächst Behavioral Observation Audiometry (BOA): feine Beobachtungen von Augenbewegungen, Blinzeln oder Atemveränderungen als Reaktion auf Geräusche.

Hinweis: Diese frühen Beobachtungsverfahren bildeten die Grundlage für die später entwickelte Visually Reinforced Audiometry (VRA) – ein heute zentrales Testverfahren in der Pädaudiologie.

Downs bewies, dass frühes Hören entscheidend für die Sprachentwicklung ist. Ihre Beobachtungen bestätigten, was wir heute neurobiologisch wissen: das Gehirn reagiert in den ersten Lebensmonaten am stärksten auf akustische Stimulation.

Der lange Weg zum Neugeborenen-Hörscreening

Über drei Jahrzehnte kämpfte Marion Downs für die Einführung eines Hörscreenings direkt nach der Geburt. Sie war 1969 Mitbegründerin des Joint Committee on Infant Hearing (JCIH) und entwickelte Kriterien, um Risikokinder zu identifizieren – etwa bei Röteln, CMV-Infektionen oder familiärer Belastung.

Die Idee eines flächendeckenden Screenings stieß lange auf Widerstand: zu teuer, zu aufwendig, angeblich zu ungenau. Doch Downs hielt durch. Erst in den 1990er-Jahren setzten sich ihre Konzepte weltweit durch. Heute gilt das EHDI-System (Early Hearing Detection and Intervention) mit dem „1-3-6-Benchmark“ – Screening bis 1 Monat, Diagnose bis 3 Monate, Intervention bis 6 Monate – als globaler Standard.

Empfehlung: Informationen zum aktuellen Stand des Hörscreenings in Deutschland finden Sie auf unserer Seite Neugeborenen-Hörscreening.

Wissen, das Generationen prägt

Gemeinsam mit Jerry L. Northern schrieb Marion Downs das Lehrbuch Hearing in Children – bis heute das Standardwerk der Pädaudiologie. Sie veröffentlichte über 100 wissenschaftliche Artikel und beeinflusste maßgeblich den Übergang von rein behavioralen Tests zu objektiven Verfahren wie ABR und OAE.

Ihre Arbeit zeigte, dass die Kombination aus Technik und Empathie den Unterschied macht. Die heutige Möglichkeit, Hörgeräte oder Cochlea-Implantate schon im ersten Lebensjahr anzupassen, ist direkte Folge ihrer Beharrlichkeit.

Besonderheit: Die USA waren durch Downs’ Engagement fast zehn Jahre früher als Europa in der flächendeckenden Nutzung objektiver Hörtests – ein Vorsprung, der bis heute spürbar ist.

Mensch, Mentor, Pionierin

Marion Downs war nicht nur Forscherin, sondern Vorbild. Humorvoll, sportlich, voller Energie – sie nahm mit 89 am Triathlon teil und sprang zu ihrem 90. Geburtstag mit dem Fallschirm. Ihr Motto, ein Zitat von Francis Bacon: „Knowledge is power.“

Kollegen wie Jerry Northern oder Jay Hall nannten sie ihre „Audiology Mother“. Generationen von Fachleuten verdanken ihr den Mut, konventionelle Grenzen zu hinterfragen. 2005 wurde das Marion Downs Hearing Center an der University of Colorado nach ihr benannt.

Fazit

Marion Downs veränderte das Schicksal unzähliger Kinder, die ohne sie nie hätten hören können. Sie verband wissenschaftliche Genauigkeit mit menschlicher Wärme – und machte damit aus Audiologie eine Lebenswissenschaft. Ihre Botschaft bleibt aktuell: „Babies with hearing loss can and should be treated as early as possible.“

Die Geschichte der modernen Hörversorgung beginnt mit einer Frau, die nicht akzeptierte, dass man auf Hören warten sollte.

Wissenschaftliche Grundlagen und Quellen

  • Northern JL, Downs MP. Hearing in Children, 6th Edition. Plural Publishing.
  • Joint Committee on Infant Hearing (JCIH) Statements – www.jcih.org
  • University of Colorado – Marion Downs Hearing Center: www.mariondowns.org
  • Hall JW. Persönliche Erinnerungen an Marion Downs (AAA Archives, 2015)
Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology

Über den Autor

Max Bauer

Maximilian Bauer, MSc. Clinical Audiology
Maximilian Bauer gilt als erfahrener Experte für Hörsystemversorgung, moderne Hörakustik und ethische Beratung im Gesundheitswesen. Er verbindet handwerkliche Präzision mit akademischem Wissen und setzt sich für eine transparente, menschenorientierte Hörversorgung ein.

www.hoergeraete-insider.de


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