Hörgeräteanpassung
von Max Bauer (Kommentare: 1)
Eine Hörgeräteanpassung sollte so ablaufen
Ich skizziere hier den Ablauf vom Erstellen eines Kundenprofils bis hin zur Nachsorge nach dem Abschluss des Hörgerätekaufs:
- Kundenprofil
- Beratung
- Hörgeräteanpassung
- Verifizierung / Validierung
- Probephase
- Abschlussgespräch
- Nachsorge
Kundenprofil:
Im Kundenprofil inbegriffen, ist eine ausführliche Anamnese und eine audiologische Beurteilung.
Anamnese:
Vorgeschichte des Hörverlusts, Schwierigkeiten in Bezug auf Kommunikation, medizinische Vorgerschichte, Feinmotorik, ev. Nutzung von Hörgeräten, und mehr..
Es gibt dafür validierte Fragebögen, die der Akustiker verwenden kann. Oft werden auch selbstangefertigte Fragebögen benutzt.
Audiologische Beurteilung:
Otoskopie: Beurteilung des Gehörgangs, Ohrmuschel, dem Bereich hinter der Ohrmuschel und des Trommelfells.
Reinton Audiometrie: Hier wird die Hörschwelle, also das Hörvermögen für Sinustöne gemessen.
Luftleitung über Kopfhörer Frequenzen von 125Hz bis 8kHz. Noch besser bis 20kHz, nur haben die wenigsten ein Audiometer das Frequenzen über 8kHz messen kann.
Knochenleitung über einen Knochenleitungshörer, der auf den Temporalknochen hinter der Ohrmuschel gedrückt wird. Frequenzen von 500Hz bis 4kHz, oder einem neueren Modell, 6kHz.
Bei Bedarf, das heisst bei einem sehr asymmetrische Hörverlust muss mit einem Rauschen vertäut werden.
Bestimmung der Unbehaglichkeitsschwelle: Hier wie groß der Dynamikbereich des Betroffenen ist. Er liegt zwischen der Hörschwelle und der Unbehanglichkeitsschwelle, also der Schwelle ab der Töne als unangenehm laut empfunden werden. Dafür werden 4 Frequenzen gemessen. Von 500Hz bis 4kHz.
Sprachaudiometrie: Hier wird bestimmt wie gut der Betroffene Sprache verstehen kann.
In der Regel werden zuerst Zahlen mit mehreren Silben wie zB. 21 über einen Kopfhörer dargeboten. Man verwendet dafür verschiedene Lautstärken um herauszufinden, wo der Betroffene 50% der Zahlen verstehen kann. Das nennt man dann den "Hörverlust für Zahlen".
Anschließen werden dem Kunden Einsilber, also Wörter wie "Kopf" oder "Ruß" vorgespielt. Dies mit ansteigenden Lautstärkepegeln. Sinn dafür ist, zu bestimmen bei welcher Lautstärke der Betroffene am besten verstehen kann und welcher Erfolg mit Hörgeräten zu erwarten ist.
Im besten Fall wird anschließend noch eine Sprachaudiometrie im Störgeräusch durchgeführt. Das "Störgeräusch" ist dabei meist ein sprachsimulierendes Rauschen.
Um die Anatomie des Aussenohres und des Gehörgangs besser sehen zu können, wird nun ein "Abdruck" des Ohres genommen. Dabei wird entweder eine selbst aushärtende Silikonmasse in den Gehörgang gespritzt oder ein dreidimensioneller Scan des Ohres gemacht.
Aus der Abformung kann auch die sogenannte Otoplastik, also das Ohrstück gemacht werden.
Beratung:
Zuerst sollte dem Betroffenen die Ergebnisse der verschiedenen Test erklärt werden. Es wäre gut wenn dem Kunden ein Ausdruck davon zur Verfügung gestellt wird.
Anschließen sollte dem Betroffenen erklärt werden, wie der Rehabilitationsprozess mit Hörgeräten und ev. einem Hörtraining abläuft.
Auswahl der Hörgeräte: Zuerst sollte der Akustiker dem Betroffenen alle Hörgerätetypen vorstellen. Das heisst Im-Ohr Geräte, Hinter-dem-Ohr Geräte (RIC, Slimtube und Geräte mit dickeren akustischen Schläuchen), Knochenleitungsgeräte, CROS und BiCROS Geräte. Die Kostenstruktur des Akustikfachgeschäftes im Generellen ist auch wichtig.
Und, es muss ausdrücklich erwähnt werden, dass eine Hörgeräteversorgung für jede Art von Schwerhörigkeit auch mit Geräten, die die Krankenkasse übernimmt gewährleistet ist.
Laut den aktuellen Krankenkassenvertägen ist eine Zuzahlung nur im Falle von Kosmetikansprücken oder zB Bedienung via einer App oder eines angenehmeren Klangbildes vorgesehen.
Dem Kunden sollte eine Auswahl an "ALDs"(Assistive listening Devices), das heisst spezielle Telefone, TV-Streamer und Remote Mikrofone gezeigt werden.
Einen überblick über aktuelle Smartphone Apps gehöret auch in die Beratung.
Anschließend sollte auf die spezielle Situation des Kunden (Anamnese, Art und Grad des Hörverlustes) eingegangen werden. Eine Empfehlung für Hörgerätetyp, Technikstufe und Art der Otoplastik (falls notwendig) sollte ausgesprochen werden.
Akustiker können eine vergleichende Anpassung vorgeschlagen. Das heisst es werden verschiedene Geräte, die zum alltäglichen Leben des Kunden und zum Hörverlust passen zur Probe mitgegeben.
Akustische Ankopplung:
Schalen bei Im-Ohr Geräten oder Kundstoffschirmchen, bzw Otoplastiken für Hinter-dem-Ohr Geräten und RIC Geräten werden für das Hörprofil und die Fähigkeit zur Bedienung der Hörgeräte für den Kunden ausgesucht und hergestellt.
Hörgeräteanpassung:
Voreinstellung der Geräte: Vor der eigentlichen Anpassung wird die Funktion der Geräte entweder mittels Messbox oder PC und "Listening control" überprüft und in eine Einstellung programmiert, die für das Gehör nicht gefährlich werden kann. Ausserdem wird die Passform von Otoplastiken oder Kunsstoffschirmchen geprüft.
Einstellung am Kundenohr (Verifizierung):
Hier werden die angefertigten Geräte im ausgeschaltetem und voreingestelltem Zustand (um Rückkopplungen zu vermeiden) an das Kundenohr gegeben und in den Gehörgang geschoben.
Nun finden der eigentliche Anpassungsprozess statt. Dieser kann auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden. Oft wird dafür ein sogenanntes "Direkt Audiogram" aufgenommen. Dabei kommen aus dem Hörgerät leise Töne und es wird bestimmt wann der Hörgeräteträger diese wahrnehmen kann. Daraufhin berechnet das Hörgerät eine Einstellung die von Hersteller zu Hersteller variieren kann.
Der Akustiker sollte diese Einstellung objektiv überprüfen. Dafür gibt es das sogenannte REM Verfahren. REM steht für Real Ear Measurement. Dafür wird dem Kunden ein kleiner Messschlauch in den Gehörgang eingeführt.
Über diesen Messschlauch wird zuerst die REUG gemessen, also die Eigenverstärkung der Ohrmuschel und des Gehörgangs. Danach werden die Gerät eingesetzt. Nun kann die frequenzspezifische Verstärkung (REIG) und die Kompression gemessen werden. Es gibt, um die Richtigkeit zu überprüfen verschiedene Zielkurven. Die gängigsten sind im Moment NAL NL2 und DSL V5.
Diese Einstellung dient als Ausgangspunkt für eine Feineinstellung die mit dem Kunden zusammen durchgeführt wird. Es hat tatsächlich jeder einen anderen Hörgeschmack, und damit der Kunde seinen Hörgeräte gerne trägt, sollte darauf Rücksicht genommen werden.
Dem Hörgeräteträger sollten nun noch verschiedene Hörsituationen (zB Straßenverkehr oder Unterhaltungen im Restaurant) vorgespielt werden, um zu sehen ob zusätzlich Hörprogramme benötigt werden.
Validierung:
Im Anschluss an die Einstellung wird nun eine Sprachaudiometrie im Freifeld (im Anpassraum) mit und ohne Hörgeräten durchgeführt. Dabei werden dem Kunden Wörter in Ruhe und im Störlärm präsentiert. Man strebt dabei das maximale Sprachverstehen aus der Sprachaudiogramm an.
Probephase:
Üben des Einsetzens: Es ist wichtig, dass der Kunde das Einsetzen der Geräte selbstständig beherrscht.
Dem Kunden sollten nun die angepassten Hörgeräte für eine Zeitraum von ein bis zwei Wochen zur Probe mitgegeben werden, damit er sie in seinem persönlichen Umfeld ausprobieren kann.
Falls alles in Ordnung ist und er Kunde die Hörgeräte gerne trägt sollte ein Fragebogen zum wahrgenommenen Nutzen der Hörgeräte ausgefüllt bzw. durchgegangen werden. Hierfür sollte ein wissenschaftlich validierter Fragebogen wie zB der APHAB verwendet werden.
Abschlussgespräch:
Hier sollte der Akustiker den Kunden über folgende Dinge informieren:
- Reinigung und Pflege der Hörgeräte und Otoplastik
- Umgang mit Batterien oder Akku
- Garantiezeitraum
- Entstehung von möglichen Folgekosten wie Reparaturen, Batteriepreise usw
- Eigenständige Bedienung der App
- Nochmal über nützliches Zubehör aufklären
- Hörtaktik. Wie verhalte ich mich in schwierigen Situationen
- regelmässige Kontrolle auf Cerumen (Ohrenschmalz) durch HNO
Nachsorge:
Nachdem Hörgerätekauf sollte bei regelmässigen Serviceterminen folgendes überprüft werden:
- Die Hörleistung
- Technischer Zustand der Hörgeräte mit Funktionsprüfung
- Die Otoplastik, der Sitz und die Abdichtung
- Gehörgang, ev. Ohrenschmalzbildung
- Druckstellen an der Ohrmuschel und Gehörgang
- Zufriedenheit des Hörgeräteträgers
- Tragedauer der Hörgeräte
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Kommentare
Kommentar von Norbert L. Muth, M.A. |
Hier fehlt ein ganz wichtiger Punkt:
Der Kunde muss über die Funktion und Vorteile des induktiven Hörens (T-Spule) aufgeklärt werden. Induktionsschleifen werden in öffentlichen Gebäuden eingebaut. Dort gibt es zu viel Störschall (Hall, Echo, Nebengeräusche auf Gebäudetechnik und Publikum), so dass ein Sprachverstehen nur noch eingeschränkt oder garnicht mehr möglich ist. Da über die Induktionsschleife die Sprache direkt in die Hörgeräte geleitet wird, werden die Störgeräusche augeblendet. Aber auch wenn in solchen Einrichtungen FM oder Infrarot-Höranlagen installiert sind, ist die T-Spule notwendig, weil in die Hörgeräte praktisch nur über eine induktive Halsringschleife übertragen werden kann.
Werden Kunden nicht darüber aufgeklärt, dann macht sich der Hörakustiker der Fehlberatung schuldig und wird ggf. regresspflichtig, weil der bestmögliche Behinderungsausgleich nicht gewährt wurde. Dem kann der Hörakustiker nur entgehen, wenn der Kunde unterschreibt, wenn er auf die T-Spule verzichtet.
Antwort von Max Bauer
Hallo Herr Muth, vielen Dank für Ihre Ergänzung. Den Kommentar veröffentlichen wir gerne. Beste Grüße, Max Bauer
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