Angehörige & Hörverlust: Der unsichtbare Dritte

von von Maximilian Bauer, MSc. Clinical Audiology (Kommentare: 0)

Angehörige und Hörverlust

Audiologe Maximilian Bauerzeigt auf eine wissenschaftliche Studie von 2025, die belegt, wie stark Ehepartner unter dem unversorgten Hörverlust leiden (Third Party Disability)

Der unsichtbare Dritte in Ihrer Ehe: Warum Hörverlust nie nur einen betrifft.

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Von Maximilian Bauer

M.Sc. Clinical Audiology (Salus University)

Auf den Punkt gebracht: Wenn der Fernseher immer lauter wird und Gespräche verstummen, leidet oft der Partner mehr als der Betroffene selbst. Die Wissenschaft nennt das "Third Party Disability". Erfahren Sie, warum Beziehungsprobleme oft ein akustisches Ursprungsproblem sind – und wie Sie das Schweigen brechen.

Es ist ein klassisches Szenario in meiner Praxis: Ein Paar sitzt vor mir. Er verschränkt die Arme und sagt: "Ich höre gut, die anderen nuscheln nur." Sie wirkt erschöpft, vielleicht sogar traurig, und sagt: "Er hört mir einfach nicht mehr zu."

Als M.Sc. Clinical Audiology muss ich Ihnen sagen: Beide haben auf ihre Weise recht. Aber das Problem liegt tiefer. Wir behandeln in der Hörakustik oft nur das Ohr, vergessen aber das "System Ehe". Dabei zeigen neue Studien: Unbehandelter Hörverlust ist einer der größten Stressfaktoren für Beziehungen.

Das Phänomen "Third Party Disability": Sie bilden sich das nicht ein

Viele Angehörige fühlen sich schuldig, weil sie genervt sind. "Ich sollte geduldiger sein", denken sie. Doch die Wissenschaft gibt Ihnen Rückendeckung. Eine aktuelle Studie von Meyer et al. (2025) zeigt erschreckende Zahlen: 57 % der Partner von Menschen mit Hörverlust empfinden regelmäßig Traurigkeit, 37 % fühlen sich hilflos.

Wir nennen das in der Fachsprache Third Party Disability (Behinderung Dritter). Der Hörverlust Ihres Partners schränkt Ihre Lebensqualität ein. Sie gehen seltener ins Restaurant, Sie müssen für zwei hören ("Was hat der Kellner gesagt?") und Sie verlieren die emotionale Intimität.

Ist es Ignoranz oder das Ohr?

Streit entsteht oft, weil man nicht weiß: "Will er nicht hören oder kann er nicht?" Um diese Frage objektiv zu klären, habe ich einen 3-Minuten-Versteh-Check für Paare entwickelt.

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Verteidigung des Partners: Warum er abends "abschaltet"

Bevor Sie wütend werden: Ihr Partner ignoriert Sie wahrscheinlich nicht absichtlich. Wer schlecht hört, muss enorme kognitive Energie aufwenden, um Lücken im Gespräch zu füllen. Wir nennen das Höranstrengung (Listening Effort).

Stellen Sie sich vor, Sie müssten den ganzen Tag Matheaufgaben lösen, während im Hintergrund ein Presslufthammer läuft. Genau so fühlt sich das Gehirn Ihres Partners an. Abends ist der "Akku" im präfrontalen Cortex leer. Er hört Sie zwar physikalisch, aber er hat keine Energie mehr, den Sinn zu verarbeiten. Es ist keine böse Absicht – es ist biologische Erschöpfung.

Der 63%-Faktor: Warum Sie beim Termin dabei sein müssen

Oft höre ich: "Er soll das allein regeln, er ist ja erwachsen." Das ist verständlich, aber statistisch gesehen ein Fehler. Eine wegweisende Untersuchung von Singh & Launer (2016) beweist: Wenn Patienten allein zum Akustiker gehen, liegt die Quote für eine erfolgreiche Versorgung bei nur 50,6 %.

Kommt der Partner mit, springt die Erfolgsquote auf 63,8 %.

Warum? Weil Sie als Partner der "Realitäts-Anker" sind. Sie kennen die Situationen, in denen es hakt (TV, Familienfeier, Auto). Ohne Ihre Sichtweise bekomme ich als Audiologe nur das halbe Bild – und stelle das Gerät womöglich am echten Leben vorbei ein.

Insider-Wissen: Technik allein reicht nicht
Eine Meta-Analyse von Picard et al. (2023) zeigt: Ein Hörgerät verbessert das Hören, aber nicht automatisch die Kommunikation. Alte Gewohnheiten ("Vom Flur ins Wohnzimmer rufen") bleiben bestehen. Echte Besserung tritt oft erst ein, wenn Partner gemeinsam Strategien wie "Clear Speech" lernen. Wir behandeln daher nie nur das Ohr, sondern immer das Team (Patient & Partner).

Ihr Schlachtplan für mehr Harmonie

  1. Validieren Sie Ihren Ärger: Es ist okay, genervt zu sein. Sie leiden mit.
  2. Trennen Sie Person von Symptom: Wenn er nicht reagiert, ist oft der "Hör-Akku" leer.
  3. Machen Sie den Check: Nutzen Sie den Versteh-Check als neutralen Boden.
  4. Kommen Sie mit: Ein guter Akustiker wird Sie aktiv in die Messung einbinden (z.B. durch Stimm-Tests mit Ihrer Stimme).

Kurz zusammengefasst

Hörverlust ist keine Privatsache. Er ist eine Belastungsprobe für jede Beziehung ("Third Party Disability"). Warten Sie nicht, bis das Schweigen zur Gewohnheit wird. Als "Insider" rate ich Ihnen: Sehen Sie die Versorgung nicht als Kauf eines technischen Geräts, sondern als Investition in Ihre Beziehung. Und der erste Schritt ist, gemeinsam darüber zu sprechen – ohne Vorwürfe, aber mit Fakten.

P.S. Kennen Sie ein Paar, bei dem der Fernseher immer lauter wird? Leiten Sie diesen Artikel gerne weiter. Oft ist das der sanfteste Weg, das Thema anzusprechen, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen.


Literaturverzeichnis

Wissenschaftliche Evidenz zur Rolle von Angehörigen in der Audiologie:

C.G., S., et al. (2025). Third-Party Disability in Spouses of Elderly Individuals: Comparing Outcomes with and without Hearing Aids. International Journal of Health Sciences and Research.
DOI: 10.52403/ijhsr.20250325

Meyer, C. J., et al. (2025). Understanding affiliate stigma among significant others of adults with hearing loss. International Journal of Audiology, 64, S58–S64.
DOI: 10.1080/14992027.2025.2505979

Picard, G., et al. (2023). Hear Me Out: A Meta-Analysis of Third-Party Disability Due to Presbycusis. Ear and Hearing, 45, 297–305.
DOI: 10.1097/AUD.0000000000001424

Preminger, J., et al. (2015). Adult-children's perspectives on a parent's hearing impairment. International Journal of Audiology, 54, 720–726.
DOI: 10.3109/14992027.2015.1046089

Singh, G., & Launer, S. (2016). Social Context and Hearing Aid Adoption. Trends in Hearing, 20.
DOI: 10.1177/2331216516673833

Stand: 15. Dezember 2025

Über den Autor

Max Bauer

Maximilian Bauer, MSc. Clinical Audiology
Maximilian Bauer gilt als erfahrener Experte für Hörsystemversorgung, moderne Hörakustik und ethische Beratung im Gesundheitswesen. Er verbindet handwerkliche Präzision mit akademischem Wissen und setzt sich für eine transparente, menschenorientierte Hörversorgung ein.

www.hoergeraete-insider.de


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